Ehemalige des MPG
1987
Appenzelller Christian, Baumbusch Lars, Bayer Daniela, Beck Sabine, Brasch Uwe, Bucher Angelika, Buck Stefan, Bühler Heiko, Edte Birgit, Fautz Michael, Feger Martin, Fischer-Rasokat Annette, Fleig Alexander, Frankfurth Achim, Frey Markus, Frick Stefan, Gärtner Bilke, Geiß Markus, Gelszinnis Peter, Göhringer Marion, Göppert Annette, Himmelsbach Sigrid, Hochrein Monika, Huber Manfred, Hübner Jochen, Huck Sabine, Isenmann Werner, Kaufmann Andreas, Köhler Bettina, Korn Axel, Kossmehl Marcus, Krüger Bettina, Kühne Anke, Kunz Sabine, Kupfer Martin, Lischke Thomas, Mäntele Sibylle, Meier Oliver, Mengesdorf Ursula, Michel Eduard, Mußler Bernd, Neumeister Frank, Nierlin Thomas, Obert Christiane, Paul Simone, Pfatteicher Claudia, Rabe Simone, Rall Bernd, Raus Volker, Sattler Christian, Schabel Herbert, Scharfschwerdt Iris, Scharfschwerdt Isabell, Scharfschwerdt Wolfram, Schmidt Alexander, Schmidt Anna, Schulte Kirsten, Schwindt Christoph, Siefert Traute, Spothelfer Esther, Spothelfer Jochen, Starp Konstanze, Stulz Christian, Tebbe Felix, Turzin Manuela, v. Buhrmeister Gabriele, v. Kraewel Iris, Vetter Marc, Vetter Marion, Wölfle Stefan, Zehnle Sandra, Zibold Joachim Martin
Ein kompliziertes, aber gutes Zeugnis 1987
Beim Durchforsten meiner alten Schulunterlagen fiel mir meine Abitursrede von 1987 in die Hände. Mir war damals vom Abitursjahrgang mit überwältigender Mehrheit die Aufgabe übertragen worden, die Rede anlässlich der Abitursfeier zu halten. Die Rede war engagiert, ein wenig provokativ, sicherlich etwas jugendlich-naiv, unausgewogen und kritisch. Ein Dokument seiner Zeit. Natürlich hat sich seit damals vieles verändert - anderes nicht. Es hat mich erstaunt, dass schon seinerzeit einige heute aktuelle Probleme angesprochen wurden.
(Die hier abgedruckte Fassung ist gekürzt und um unbedeutende Formfehler korrigiert)[1]
Abiturrede von Lars Baumbusch 1987
Liebe Gäste,
Nach 13 Jahre in der Schule sind wir nun froh, das Zeugnis der Reife, oder besser gesagt das Zeugnis über unsere schulischen Leistungen, erhalten zu haben. Heute Abend werden wir damit in eine neue Freiheit entlassen, eine Freiheit, die leicht in eine neue Unfreiheit umschlagen kann. Wenn man Erwachsene nach ihren Schulerlebnissen fragt, hört man gerne Sätze wie „Ach, wie schön doch alles war“ - auch uns wird es einmal so gehen, da man sich meistens an die schönen Dinge erinnert. Eine Seite unserer Schulzeit war geprägt von fröhlichen Ereignissen, aber vieles war eben nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Deswegen möchte ich heute Abend die Gelegenheit ergreifen und beide Seiten aufzeigen, mit der Hoffnung, dass sich etwas ändern wird.
Mit den positiven Aspekten will ich beginnen und mich bei allen bedanken, die es uns ermöglicht haben, die Schule so lange zu besuchen. Das Schöne an der Schule sind gewisse Freiheiten, besonders wichtig ist die Freiheit der Entfaltung. Die Schule hat uns etwas gegeben, wo neue Gedanken eröffnet wurden. Es waren oft gerade die Lehren von Lehrern, abseits vom Unterricht, die besonderes Gewicht erhielten und uns prägten. Besonders positiv an der Schule waren die neuen Erkenntnisse und die Anregung, weiter zu lernen.
Nach all den erfreulichen Dingen möchte ich nun etwas Kritik äußern, denn die Angst unter den Schülern nimmt zu. Eine der Hauptrolle im Leben von Schülern müssen zwangsläufig die Lehrer spielen. Wenn ich nun Kritik an Lehrern übe, so ist es mir wichtig zu betonen, dass diese Kritik nicht auf alle zutrifft, schließlich haben die Lehrer sehr verschiedene Persönlichkeiten. Zu den negativen Erinnerungen gehören unmotivierte, zu selbstsichere oder wenig kritikfähige Lehrer. Am schlimmsten aber waren Ungerechtigkeiten, und manche Begebenheit ließ uns an den pädagogischen Fähigkeiten zweifeln. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass die Lehrer versuchen, mehr Verständnis, mehr Zivilcourage und mehr Spontaneität aufzubringen, damit die Schule an Humanität gewinnt. Gerade heute Abend ist es mir wichtig, an die zu erinnern, die nicht mit uns ihren Abschluss geschafft haben. Ich meine all diejenigen, die anders waren, die es dadurch schwerer hatten und auf der Strecke geblieben sind. Die Gründe dafür bleiben für uns oft unerkannt.
Wir haben das Zeugnis der Reife erhalten. Zeugnis der Reife klingt verdammt gut, aber es drängt sich die Frage auf: Stimmt das überhaupt? Wir dürfen zwar wählen - aber sind wir reif für die Freiheit und die Gesellschaft, in die wir entlassen werden? Wir sehen uns nun Entscheidungen gegenüber, in denen das Wissen und die Noten der Schule unwichtig sind.
Über die heutige Jugend und die heutigen Abiturienten wird viel geredet. Es heißt, nach der Null-Bock-Generation sei die neue Jugend angepasst und unkritisch. Wer hat sie gelehrt, diesen einfacheren Weg zu gehen? Welche Umstände zwingen sie hierzu? Schließlich ist die junge Generation immer ein Produkt ihrer Gesellschaft. Unsere Kritikfähigkeit ist uns trotz gegenteiliger Meinung erhalten geblieben. Allerdings haben wir uns die Illusionen über den Erfolg unserer Kritik abgeschminkt.
Vor rund einem Monat waren im SPIEGEL und in der Zeit widersprüchliche Artikel über das Allgemeinwissen der Abiturienten `87 erschienen. Es heißt, die heutige Jugend sei die bestinformierteste Jugend, die es je gab. Man kann sagen, wir sind vollgestopft mit Fakten aus allen Bereichen. Doch unser Wissen ist anderes Wissen als das, was man bisher unter Allgemeinwissen verstand. Wir sind in eine Zukunft gesetzt worden zwischen Wettkampf und Katastrophe. Eine Zukunft, die gefährdet ist. Es sollte uns zu denken geben, wenn nur noch die Jugend zählt, wenn statt Kreativität eine Videowelt aufgebaut wird und uniformiertes Elitebewusstsein geschaffen wird.
Wir Abiturienten des Jahrgangs `87 sollten uns nicht verschließen für die neuen und anderen Aspekte des Lernens. Wir sind gefordert, unsere Lebenseinstellungen und Ideale zu verwirklichen und, trotz des Frustes, den wir hatten, den Mut zu finden, etwas zu tun. Es wird endlich Zeit, unser Wissen umzusetzen und die aktuellen Probleme durch unsere Aktivität zu lösen zu versuchen.
Trotz aller Kritik: Es war eine schöne Zeit, die unvergesslich bleiben wird. Ich will mich nochmals bei den Eltern, Lehrern und der Direktion für die Begleitung in dieser Zeit bedanken und Sie einladen, mit uns heute Abend fröhlich zu sein und zu feiern.
Auch wenn Sie von meiner Rede nichts behalten sollten, so erinnern Sie sich vielleicht doch noch an das Gedicht, das ich Ihnen nun am Ende vorlesen möchte, ein Gedicht, das für mich ein wenig Hoffnung ausdrückt:
Bertolt Brecht 1940 VI
Mein junger Sohn fragt mich: Soll ich Mathematik lernen?
Wozu, möchte ich sagen. Daß zwei Stück Brot mehr ist als eines
Das wirst du auch so merken.
Mein junger Sohn fragt mich: Soll ich Französisch lernen?
Wozu, möchte ich sagen. Dieses Reich geht unter. Und
Reibe du nur mit der Hand den Bauch und stöhne
Und man wird dich schon verstehen.
Mein junger Sohn fragt mich: Soll ich Geschichte lernen?
Wozu, möchte ich sagen. Lerne du deinen Kopf in die Erde stecken
Da wirst du vielleicht übrigbleiben.
Ja, lerne Mathematik, sage ich,
Lerne Französisch, lerne Geschichte!
Lars Baumbusch 2007
[1] Anm. der Redaktion: Dr. Lars O. Baumbusch lebt in Norwegen. Er arbeitet zur Zeit als Molekularbiologe in der Krebsforschung und unterrichtet gleichzeitig an der Universität in Oslo. (lars.o.baumbusch@rr-research.no)